Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Claire

(Pariser Gesellschaft, 1861)

Der Geist, der die folgenden Mitteilungen gemacht hat, ist der einer Frau, die dem Medium zu ihren Lebzeiten bekannt war und deren Lebensführung und Charakter nur zu sehr die Qualen rechtfertigen, die sie erduldet. Sie war hauptsächlich von einem maßlosen Egoismus und einer Eigenliebe beherrscht, die sich in der dritten Mitteilung durch ihren Anspruch widerspiegeln, dass das Medium sich nur mit ihr beschäftigen solle. Diese Mitteilungen sind zu verschiedenen Zeiten erhalten worden. Die drei letzten zeigen einen merkbaren Fortschritt in der Verfassung des Geistes, Dank der Fürsorge des Mediums, das seine moralische Erziehung übernommen hatte.

I.

Da bin ich, ich, die unglückliche Claire. Was soll ich dich lehren? Ergebung und Hoffnung sind nur Worte für den, der weiß, dass seine Leiden, die zahllos wie die Kieselsteine des Strandes sind, über endlose Jahrhunderte dauern werden. Ich kann sie mildern, sagst du? Welch leeres Wort! Wo den Mut, die Hoffnung dafür finden? Streng dich also an, beschränktes Gehirn, zu begreifen, was ein Tag ist, der niemals endet! Ist es ein Tag, ein Jahr, ein Jahrhundert? Was weiß ich? Es teilen ihn keine Stunden; es ändern ihn keine Jahreszeiten; ewig und langsam wie das Wasser, das aus einem Felsen sickert, dieser verfluchte, dieser verwünschte Tag, der auf mir wie ein Kasten Blei lastet … Ich leide! ... Ich sehe nichts als schweigende, teilnahmslose Schatten um mich ... Ich leide!

Dennoch weiß ich, dass über diesem Elend Gott herrscht, der Vater, der Herr, derjenige, auf den alles hinläuft. Ich will daran denken, will ihn anflehen.

Ich mühe mich ab und schleppe mich dahin wie ein Krüppel, der den Weg entlang kriecht. Ich weiß nicht, welche Macht mich zu dir hinzieht. Vielleicht bist du die Rettung? Ich verlasse dich ein wenig beruhigt, ein wenig erwärmt; wie ein vor Frost zitternder Greis, den ein Strahl der Sonne wieder belebt, so schöpft meine erstarrte Seele neues Leben, wenn sie sich dir nähert.

II.

Mein Unglück wird jeden Tag größer; es nimmt in dem Maße zu, wie sich die Kenntnis der Ewigkeit in mir entwickelt. Oh Jammer! Wie ich euch verwünsche, ihr schuldvollen Stunden, Stunden der Selbstsucht und des Vergessens, wo ich alle Nächstenliebe, alle Hingebung missachtete und nur an mein Wohlbehagen dachte! Seid verwünscht, ihr menschlichen Veranstaltungen, eitles Jagen nach Befriedigung materieller Wünsche! Seid verwünscht, ihr die ihr mich geblendet und ins Verderben gestürzt habt! An mir nagt das unaufhörliche Bedauern über die vergeudete Zeit. Was soll ich dir sagen, da du mich ja anhörst? Wache unaufhörlich über dich; liebe die anderen mehr als dich selbst; verweile nicht auf den Wegen des Wohlbefindens; mäste deinen Körper nicht auf Kosten deiner Seele; wache, wie der Heiland zu seinen Jüngern sagte! Danke mir nicht für diese Ratschläge, mein Geist versteht sie, mein Herz hat nie auf sie gehört. Wie einen immerzu gepeitschten Hund lässt mich die Angst dahinkriechen, die freie Liebe aber kenne ich noch nicht. Ihre göttliche Morgenröte braucht lange, um aufzugehen! Bete für meine vertrocknete und so elende Seele!

III.

Ich komme bis hierher, um dich zu suchen, da du mich vergisst. Du glaubst also, dass vereinzelte Bitten, mein ausgesprochener Name, zur Linderung meines Schmerzes genügen werden? Nein, hundertmal nein! Ich schreie vor Schmerz; ich irre umher ohne Ruhe, ohne Zufluchtsort, ohne Hoffnung, und fühle den ewigen Stachel der Strafe, der sich in meine sich dagegen auflehnende Seele bohrt. Ich lache, wenn ich eure Klagen höre, wenn ich euch niedergeschlagen sehe. Was ist euer blasses Elend! Was sind eure Tränen! Was sind eure Qualen, die der Schlaf unterbricht! Schlafe ich denn? Ich will, hörst du, will, dass du deine philosophischen Studien verlässt und dich mit mir beschäftigst; dass du die anderen sich damit beschäftigen lässt! Ich finde keine Ausdrücke, um die Angst dieser Zeit zu schildern, die dahinfließt, ohne dass die Stunden ihre Abschnitte bezeichnen. Kaum dass ich einen schwachen Strahl von Hoffnung sehe; und diese Hoffnung hast du mir gegeben; verlass mich deshalb nicht!

IV.

Der Geist des heiligen Ludwig: Diese Schilderung ist nur zu wahr; denn sie ist keineswegs übertrieben. Man wird vielleicht fragen, was diese Frau getan hat, dass sie nun so leidet. Hat sie irgendein schreckliches Verbrechen begangen? Hat sie gestohlen, gemordet? Nein, sie hat nichts getan, was verdient hätte, die Gerechtigkeit der Menschen zu beschäftigen. Im Gegenteil, sie amüsierte sich mit dem, was ihr irdisches Glück nennt! Schönheit, Vermögen, Vergnügungen, Schmeicheleien, alles lächelte ihr zu, nichts mangelte ihr und man sagte, wenn man sie sah: Welch glückliche Frau und beneidete sie um ihre Stellung. Was sie getan hat? Sie war egoistisch. Sie hatte alles, außer ein gutes Herz. Wenn sie das Gesetz der Menschen nicht verletzt hat, so hat sie das Gesetz Gottes verletzt; denn sie hat die Nächstenliebe nicht gekannt, diese erste der Tugenden. Sie hat nur sich selbst geliebt; nun wird sie von niemandem geliebt. Sie hat nichts gegeben und man gibt ihr nichts. Sie ist vereinsamt, verlassen, preisgegeben, verloren im Raum, wo niemand an sie denkt, sich niemand mit ihr beschäftigt. Das ist es, was ihre Strafe ausmacht. Da sie nur weltliche Genüsse gesucht hat und diese Genüsse ihr heute nicht mehr zur Verfügung stehen, ist um sie herum eine Leere entstanden. Sie sieht nur das Nichts, und das Nichts scheint ihr die Ewigkeit. Sie leidet keine körperlichen Qualen. Es kommen keine Teufel und quälen sie, aber das ist nicht notwendig. Sie quält sich selbst und leidet so weit mehr; denn diese Teufel würden noch Wesen sein, die an sie denken. Egoismus war ihre Freude auf Erden; dieser verfolgt sie nun, ist jetzt der Wurm, der an ihrem Herzen nagt, ihr wahrhafter Rachegeist.

Heiliger Ludwig

V.

Ich werde mit euch über die wichtigen Unterschiede zwischen dem göttlichen und menschlichen Moralgesetz sprechen. Das erstere steht der ehebrecherischen Frau in ihrer Verlassenheit bei und sagt zu den Sündern: “Bereut und das Himmelreich wird euch offenstehen!” Das göttliche Moralrecht akzeptiert schließlich alle Reue, alle eingestandenen Fehler, während das menschliche diese zurückweist und lächelnd die versteckten Sünden zulässt, weil die, so sagt es, schon halb vergeben sind. Bei dem einen ist die Gnade der Vergebung, bei dem anderen die Heuchelei. Wählt, ihr nach Wahrheit dürstenden Geister! Wählt zwischen den der Reue offenen Himmeln und der Duldung, die das Böse zulässt, das ihre Selbstsucht und ihre falschen Verordnungen nicht stört, aber die Leidenschaft und das Schluchzen über die offen eingestandenen Fehler zurückweist. Bereut, ihr alle, die ihr sündigt! Entsagt dem Bösen; aber entsagt vor allem der Heuchelei, die die Hässlichkeit mit der lachenden und trügerischen Maske der gegenseitigen Zugeständnisse verschleiert.

VI.

Ich bin jetzt ruhig und füge mich in das Sühnen der Fehltritte, die ich begangen habe. Das Böse ist in mir und nicht außerhalb von mir. Ich also bin es, die sich ändern muss und nicht die äußeren Dinge. Wir tragen unseren Himmel und unsere Hölle in uns; und unsere Sünden, die in unser Gewissen eingeprägt sind, lesen sich fließend am Tage der Auferstehung, und dann sind wir unsere eigenen Richter, weil der Zustand unserer Seele uns erhebt oder uns hinabstürzt. Ich will mich klarer ausdrücken: ein durch seine Sünden beschmutzter und beschwerter Geist kann eine Erhebung, die er nicht ertragen könnte, weder begreifen noch wünschen. Glaubt nur: so wie die verschiedenen Arten von Wesen in dem für sie eigenen Gebiet leben, so bewegen sich die Geister entsprechend der Stufe ihres Fortschritts in der Umgebung, die ihren Fähigkeiten entspricht. Sie begreifen erst eine andere, wenn sie der Fortschritt, ein Werkzeug der langsamen Umbildung der Seelen, ihren niederen Neigungen enthebt und bewirkt, dass sie die Verpuppung der Sünde abstreifen, damit sie flattern können, ehe sie sich, rasch wie Pfeile, Gott entgegenfliegen, der ihr einziger und ersehnter Freund geworden ist. Ach, ich schleppe mich noch, aber ich hasse nicht mehr, und ich erfasse das unaussprechliche Glück der göttlichen Liebe. Bete also immer für mich, die ich hoffe und warte.

In der folgenden Mitteilung spricht Claire von ihrem Mann, unter dem sie zu ihren Lebzeiten viel zu leiden hatte, und von der Verfassung, in der er sich heute in der Geisterwelt befindet. Diese Schilderung, die sie nicht selbst vollenden konnte, wird von dem geistigen Führer des Mediums vervollständigt.

VII.

Ich komme zu dir, da du mich so lange vergessen hast. Aber ich habe Geduld gelernt und bin nicht mehr trostlos. Du willst wissen, in welcher Lage der arme Felix sei. Er irrt in der Dunkelheit umher, eine Beute der tiefen Bloßstellung seiner Seele. Sein oberflächliches und leichtes Wesen, beschmutzt durch Vergnügen, hat Liebe und Freundschaft niemals gekannt. Selbst die Leidenschaft hat ihn mit ihrem düsteren Schein nicht erhellt. Ich vergleiche seinen gegenwärtigen Zustand mit dem eines für die Handlungen des Lebens ungeschickten Kindes, das der Hilfe derer beraubt ist, die ihm beistehen. Felix irrt mit Angst in jener seltsamen WeIt umher, in der alles im Glanz Gottes erstrahlt, den er geleugnet hat ...

VIII.

Der Führer des Mediums: Claire kann die Aufzählung der Leiden ihres Mannes nicht fortsetzen, ohne diese gleichfalls zu empfinden, deshalb will ich für sie reden.

Felix, der oberflächlich in den Gedanken wie in den Gesinnungen war, gewalttätig, weil er schwach war, ausschweifend, weil er kalt war, ist in die Geisterwelt zurückgekehrt, moralisch nackt, wie er es im physischen Leben war. Als er ins irdische Leben eintrat, hat er nichts erworben, und infolgedessen muss er alles von vorn beginnen. Wie ein Mensch, der von einem langen Traum erwacht und nun erkennt, wie vergeblich die Erregung seiner Nerven gewesen war, wird dieses arme Wesen beim Heraustreten aus der Verwirrung erkennen, dass er von Hirngespinsten gelebt hat, die sein Leben mit Täuschungen bedeckten. Er wird den Materialismus verwünschen, der ihn dazu gebracht hat, dass er nun das Leere umarmen muss, als er glaubte, eine Wirklichkeit zu umarmen. Er wird das Pochen auf den Positivismus verwünschen, der ihn die Gedanken von einem zukünftigen Leben “Träumereien” nennen ließ, Bestrebungen “Torheiten” und den Glauben an Gott “Schwachheit”. Beim Erwachen wird der Unglückliche sehen, dass diese von ihm verspotteten Namen der Ausdruck der Wahrheit waren und dass entgegen der Fabel die Jagd auf Beute weniger vorteilhaft gewesen ist als die auf den Schatten.

Georges

Untersuchungen zu den Mitteilungen von Claire.

Diese Mitteilungen sind hauptsächlich darin lehrreich, dass sie uns eine der gewöhnlichsten Seiten des Lebens zeigen: die der Selbstsucht. Da sind nicht jene großen Verbrechen, die selbst den Bösartigsten Angst einflößen, sondern die Lebensbedingungen einer Menge von Leuten, die geachtet und begehrt in der Welt leben, weil sie einen gewissen Glanz besitzen und nicht unter die Verfolgung durch die Gesetze der Gesellschaft fallen. Es gibt dort in der Welt der Geister auch keine außergewöhnlichen Strafen, deren Schilderung Schaudern erregt, sondern eine einfache, nächstliegende Lage, eine Folge ihrer (der Geister) Art zu leben und des Zustands ihrer Seele; Vereinsamung, Verlassenheit, Hilflosigkeit. Das ist die Bestrafung desjenigen, der nur für sich selbst gelebt hat. Claire besaß, wie man gesehen hat, einen sehr verständigen Geist, aber ein trockenes Herz; auf Erden brachten ihre gesellschaftliche Stellung, ihr Vermögen, ihre äußeren Vorzüge ihr Anerkennung ein, die ihrer Eitelkeit schmeichelten und das genügte ihr. Dort begegnet ihr nur Teilnahmslosigkeit, und es wird leer um sie herum: eine Bestrafung, quälender als der Schmerz, weil sie demütigend ist; denn der Schmerz flößt Mitgefühl und Erbarmen ein. Das ist für einen Geist noch ein Mittel, die Blicke auf sich zu ziehen, um andere dazu zu bringen, sie für sein Schicksal zu erwärmen.

Die sechste Mitteilung enthält einen vollkommen wahren Gedanken, indem sie die Verhärtung gewisser Geister im Bösen zeigt. Man staunt, unter ihnen solche zu sehen, die unempfindlich sind für den Gedanken, ja für den Anblick der Glückseligkeit, die die guten Geister genießen. Sie sind genau in der Verfassung der tiefgesunkenen Menschen, denen es gefällt, sich im Schlamm zu wälzen und in groben, sinnlichen Freuden zu schwelgen. Dort sind diese Menschen gewissermaßen in ihrer richtigen Umgebung; sie verstehen die feineren Genüsse nicht; sie ziehen ihre schmutzigen Lumpen den reinen und strahlenden Gewändern vor, weil sie sich in diesen behaglicher fühlten, und ihre Gelage dem Vergnügen einer guten Gesellschaft. Sie haben sich mit dieser Art von Leben dermaßen identifiziert, dass sie ihnen zur zweiten Natur geworden ist. Sie halten sich sogar für unfähig, sich über ihren Kreis zu erheben. Darum bleiben sie in demselben, bis eine Veränderung ihres Wesens ihren Verstand geöffnet hat, indem sie in ihnen den moralischen Sinn entwickelt und sie für feinere Empfindungen zugänglich gemacht hat.

Diese Geister können, wenn sie gerade desinkarniert sind, nicht augenblicklich die Feinheit des Gefühls erlangen, und während einer mehr oder weniger langen Zeit werden sie die Niederungen der geistigen Welt zur Wohnung wählen, wie sie diejenigen der Körperwelt innegehabt haben. Dort werden sie bleiben, solange sie sich gegen den Fortschritt auflehnen. Aber mit der Zeit, mit der Erfahrung, den Trübsalen, den Beschwerden der aufeinanderfolgenden Inkarnationen kommt ein Zeitpunkt, an dem sie etwas begreifen, das besser ist als das, was sie haben. Ihre Ansprüche steigen; sie beginnen zu begreifen, was ihnen fehlt, und dann machen sie Anstrengungen, um es zu erreichen und sich zu erheben. Sind sie einmal auf diesen Weg gelangt, so gehen sie ihn schnell, weil sie eine Befriedigung gekostet haben, die ihnen weit höher scheint und neben der die anderen sie nur mit Abscheu erfüllen, weil diese nur grobe Empfindungen sind.

Frage: (An Hl. Ludwig) Was ist unter der Finsternis zu verstehen, in die gewisse leidende Seelen versenkt sind? Sollte das jene Finsternis sein, von der in der heiligen Schrift so oft die Rede ist?

Antwort: Die Finsternis, um die es sich handelt, ist wirklich die, die von Jesus und den Propheten beschrieben wird, wenn sie von der Bestrafung der Bösen sprechen. Aber das ist dort nur noch eine Darstellung, um die äußeren Sinne ihrer Zeitgenossen zu beeindrucken, die eine Bestrafung geistiger Art nicht verstehen konnten. Gewisse Geister sind in Finsternis getaucht, aber man muss darunter eine wahrhafte Nacht der Seele verstehen, vergleichbar mit der Dunkelheit, von der der Verstand des Schwachsinnigen umhüllt ist. Sie ist keine Verrücktheit der Seele, sondern eine Unkenntnis ihrer selbst und von dem, was sie umgibt, das sowohl in der Gegenwart, als auch in der Abwesenheit des äußeren Lichtes geschieht. Das ist insbesondere die Bestrafung derer, die an ihrer Wesensbestimmung gezweifelt haben. Sie haben ans Nichts geglaubt, und der Anschein dieses Nichts bildet nun ihre Strafe, bis die Seele zu sich selbst zurückkehrt und beginnt, mit Energie das Netz moralischer Erstarrung zu zerreißen, in das sie verstrickt worden ist. Ähnlich kämpft ein von einem schmerzlichen Traum überwältigter Mensch in einem bestimmten Augenblick mit aller Kraft seiner Fähigkeiten gegen die Schrecken, von denen er sich anfänglich hat beherrschen lassen. Diese augenblicklich geschehende Beschränkung der Seele auf ein eingebildetes Nichts, mit dem Gefühl ihres Daseins, ist ein grausameres Leiden, als man es sich vorstellen kann, wenn man jenen Anschein von Ruhe betrachtet, der sich auf die Seele gesenkt hat. Jene erzwungene Ruhe, jene Nichtigkeit ihres Wesens, jene Ungewissheit ist es, was ihre Strafe bildet. Es ist die sie bedrückende Langeweile, die die furchtbarste Bestrafung darstellt. Denn sie nimmt nichts außer ihr selbst wahr, weder Dinge, noch Wesen. Sie sind für sie wahrhafte Finsternis.

Heiliger Ludwig

(Claire) Hier bin ich. Auch ich kann auf die gestellte Frage über die Finsternis antworten. Denn lange bin ich umhergeirrt und habe in den Bereichen der Vorhölle gelitten, wo alles Schluchzen und Jammer ist. Ja, die sichtbare Finsternis, von der die heilige Schrift spricht, ist vorhanden, und die Unglücklichen, die nach dem Ende ihrer irdischen Prüfungen unwissend oder schuldbeladen das Leben verlassen, werden in das kalte Gebiet versetzt, unwissend über sich selbst und ihr Schicksal. Sie glauben an die Ewigkeit ihrer Lage, sie stammeln noch die Worte aus dem Leben, die sie verführt haben. Sie wundern sich und erschrecken über ihre große Einsamkeit. Finsternis ist jener leerer und doch bevölkerter Ort, jener Raum, in dem, fortgerissen und seufzend, bleiche Geister umherirren, ohne Trost, ohne Liebe, ohne irgendwelche Hilfe. An wen sich wenden? ... Sie fühlen, wie die Ewigkeit auf ihnen lastet; sie zittern und vermissen die kleinlichen Angelegenheiten, die ihre Stunden bestimmten. Sie vermissen die Nacht, die, auf den Tag folgend, so oft ihre Sorgen in einem beglückenden Traum mitnahm. Die Finsternis ist für die Geister: die Unwissenheit, das Leere und der Schauder vor dem Unbekannten ... Ich kann nicht fortfahren ...

Claire

Man hat von diesem Dunkel auch folgende Erklärung gegeben:

"Der Perispirit besitzt von Natur aus eine leuchtende Urbeschaffenheit, die sich unter dem Einfluss der Tätigkeit und der Eigenschaften der Seele entwickelt. Man könnte sagen, dass diese Eigenschaften für das Fluidum des Perispirits das seien, was das Reiben für den Phosphor ist. Der Glanz des Lichtes steht im Verhältnis zur Reinheit des Geistes. Die geringsten moralischen Unvollkommenheiten trüben und schwächen ihn. Das Licht, das von einem Geist ausstrahlt, ist daher um so stärker, je weiter dieser fortgeschritten ist. Da der Geist gewissermaßen sein Lichtträger ist, so sieht er mehr oder weniger, entsprechend der Stärke des von ihm erzeugten Lichtes; woraus folgt, dass diejenigen, die keines hervorbringen, im Dunkeln sind."

Diese Theorie ist völlig richtig, was die Ausstrahlung des leuchtenden Fluidums der höheren Geister betrifft, was durch die Beobachtung bestätigt wird. Indessen scheint darin nicht die wahre oder wenigstens nicht die einzige Ursache der Erscheinung, um die es sich handelt, zu liegen, wenn man bedenkt: 1. Dass sich nicht alle niederen Geister in der Finsternis aufhalten; 2. Dass sich derselbe Geist abwechselnd im Licht und im Dunkeln befinden kann; 3. Dass das Licht für gewisse, sehr unvollkommene Geister eine Strafe ist. Wenn das Dunkel, in dem sich gewisse Geister befinden, ihrer Persönlichkeit eigen wäre, so wäre dieses für alle bösen Geister dauerhaft und allgemein, was nicht der Fall ist, da eben Geister von äußerster Verdorbenheit vollkommen sehen, während andere, die man nicht als verdorben bezeichnen kann, sich zeitweilig in tiefer Finsternis aufhalten. All das beweist also, dass die Geister außer dem ihnen eigenen, zugleich ein äußeres Licht empfangen, das ihnen je nach den Umständen fehlt; woraus man schließen muss, dass dieses Dunkel von einem fremden Willen oder einer fremden Ursache abhängt und dass es eine besondere Strafe für Fälle darstellt, die von der obersten Gerechtigkeit bestimmt sind.

Frage: (An Hl. Ludwig) Woher kommt es, dass die moralische Erziehung der nicht inkarnierten Geister leichter ist als die der inkarnierten? Die durch die Spiritistische Lehre hergestellten Beziehungen zwischen den Menschen und den Geistern haben Gelegenheit gegeben zu bemerken, dass die letzteren sich unter dem Einfluss heilsamer Ratschläge rascher bessern als diejenigen, die inkarniert sind, wie man an der Heilung Besessener sieht.

Antwort: (Pariser Gesellschaft) Der Inkarnierte ist schon aufgrund seiner Natur in einem Zustand des unaufhörlichen Kampfes entsprechend der entgegengesetzten Elemente, aus denen er zusammengesetzt ist und die ihn zu seinem von der Vorsehung bestimmten Ziel führen sollen, indem sie aufeinander reagieren. Die Materie unterliegt leicht der Beherrschung eines äußeren Fluidums. Wenn die Seele nicht beginnt, sich mit aller moralischen Kraft, derer sie fähig ist, dagegen zu wirken, so lässt sie sich durch das Mittel ihres Körpers beherrschen und folgt dem Antrieb der verderblichen Einflüsse, von denen sie umgeben ist, und zwar mit umso größerer Leichtigkeit als die Unsichtbaren, die sie in die Enge treiben, vorzugsweise die verwundbarsten Punkte, die Neigungen zur herrschenden Leidenschaft angreifen.

Für den entkörperten Geist verhält es sich ganz anders. Dieser steht zwar noch unter dem Einfluss halbmaterieller Dinge, aber dieser Zustand ist mit dem des Inkarnierten nicht zu vergleichen. Die so vorherrschende Rücksicht auf Menschen ist für ihn nichtig, und der Gedanke daran würde ihn nicht dazu bringen können, dass er lange den Gründen widersteht, die ihm sein eigener Vorteil als gut aufweist. Er kann kämpfen und tut es allgemein sogar mit größerer Heftigkeit als der Inkarnierte, weil er eben freier ist; weil kein kleinlicher Blick auf materiellen Vorteil oder auf gesellschaftliche Stellung kommt und sein Urteil behindert. Er kämpft aus Liebe zum Bösen, aber er bekommt bald das Gefühl seiner Ohnmacht gegenüber der moralischen Überlegenheit, die ihn beherrscht. Die Spiegelung einer besseren Zukunft findet eher Eingang bei ihm, weil er sich in demselben Leben bewegt, in dem sie sich erfüllen soll und weil diese Aussicht nicht durch den Strudel menschlicher Vergnügen getrübt wird. Mit einem Wort, da er nicht mehr unter dem Einfluss des Fleisches steht, so macht das eben seine Bekehrung leichter, besonders dann, wenn er eine gewisse Entwicklung durch die Prüfungen, denen er sich unterzogen hat, erworben hat. Ein ganz und gar am Anfang stehender Geist wäre der Vernunft wenig zugänglich; anders aber steht es bei dem, der schon Lebenserfahrung hat. Übrigens, beim Inkarnierten wie beim Desinkarnierten muss durch das Gefühl auf die Seele eingewirkt werden. Jede äußerliche Wirkung kann vorübergehend die Leiden eines lasterhaften Menschen aufheben, aber sie kann nicht den zarten Keim zerstören, der in der Seele liegt. Kein Schritt, der nicht bezweckt, die Seele zu verbessern, vermag sie vom Bösen abzuwenden.

Heiliger Ludwig